23.10.2023 | In „Das Johannesevangelium – Eine textlich-strukturelle Auslegung“ | von Freddy Baum
{28} Die Uneinigkeit der Juden über Jesus (Joh. 10,22-42)
Da umringten ihn die Juden und sprachen zu ihm: Wie lange hältst du unsere Seele im Zweifel? Bist du der Christus, so sag es uns frei heraus! (SLT 1951)
Die Erklärung beruht auf Versen des Johannesevangeliums, die mit Joh. 10,24 textlich-strukturell und inhaltlich zusammenhängen.
Dass die Juden darunter litten, nicht zu wissen, ob Jesus der Christus ist (ihr Vorwurf lautete, dass er ihre Seele „enthebt“), entspricht auf der göttlichen Seite dem Umstand, dass jede fruchtlose Rebe vom wesenhaften Rebstock beseitigt (DÜ: „enthoben“) wird, denn der Vater entfernt die wilden satanischen Triebe und wirft sie herab, damit die fruchtbaren Reben seines Sohnes noch mehr Frucht tragen.
In dieser Analogie entspricht die Beseitigung der Seelen der ungläubigen Juden dem Wegschneiden der wilden Triebe vom Christus-Weinstock. Wer Jesus als den Messias ablehnt, dessen Seele scheidet der Vater vom Sohn weg.
Wer hingegen an den Namen „Jesus“ glaubt, dessen Frucht wird zum Wachsen gebracht, denn es ist das Werk Gottes, das diese Herrlichkeit in den Leibesgliedern des Christus hervorbringt. Jesus tut seine Werke im Namen des Vaters.
Die Ungläubigen begriffen das nicht.
Ihre Seele wurde ihnen „enthoben“, d. h., sie waren geistlich tot, weil sie nicht mit dem göttlichen Weinstock verbunden waren, nicht von seinem Freimut (DÜ: „Allfließen“) durchströmt wurden, also seine Reden „ewigen“ Lebens nicht tranken. Da sie der Vater dem Sohn nicht gegeben hatte, nahmen sie die Offenheit Jesu nicht wahr.
Das Gotteswort war für sie keine Wahrheit.
Im Unterschied zu den Juden, kennen solche, die der Vater dem Herrn gab die Person des wahren Messias. Auch durch sie vollendet der Sohn in seinem Tun das Werk Gottes.
Die Jünger erkannten, dass Jesus zu ihnen freimütig sprach, als er ihnen sagte, dass er von Gott in die „Welt“ entsandt wurde und wieder zum himmlischen Vater zurückkehren wird.
Genau dies ist die Kernbotschaft des Johannesevangeliums über Jesus:
Seine göttliche Identität, die himmlische Herkunft, der irdische Auftrag und die Rückkehr zu Gott.
Das Evangelium des Johannes wurde geschrieben, damit die Leser glauben, dass Jesus der Christus ist. Der Apostel bezeugt das wahre Zeugnis Jesu.
Im Gegensatz zu den Jüngern, die Jesus als sehr offen wahrnahmen, warfen ihm die Ungläubigen vor, in Hinsicht auf seine Identität verschlossen, also „unwahr“ zu sein. Sie forderten, er möge ihnen öffentlich offenbaren, ob er der Christus ist. Seine „Enthüllung“, die Offenbarung seines Wesens, wurde ihnen jedoch versagt.
Ihr Anspruch entspricht der Forderung des ungläubigen Thomas, Jesus möge sich ihm erst sinnlich überprüfbar offenbaren, bevor er glaubt, dass sein Herr auferstanden ist.
Dieses Anliegen zeugt von der unerfüllten, weil menschlich unerfüllbaren „Sucht“ der Irdischen, das Himmlische im Irdischen zu er- und begreifen.
Bei Gott ist jedoch alles möglich. Aber anders, als die Ungläubigen denken.
Zu Joh. 10,22-24, siehe Joh. 10,39-42.
Im Kapitel "Das Herz des Johannesevangeliums" wird auf den Vorwurf des Antisemitismus und Antijudaismus eingegangen.