05.12.2023 | In „Das Johannesevangelium – Eine textlich-strukturelle Auslegung“ | von Freddy Baum
{30} Maria salbt Jesus (Joh. 11,55-Joh. 12,11)
Da nahm Maria ein Pfund echter, köstlicher Nardensalbe, salbte Jesus die Füße und trocknete ihm die Füße mit ihren Haaren; das Haus aber wurde erfüllt vom Geruch der Salbe. (SLT 1951)
Die Erklärung beruht auf Versen des Johannesevangeliums, die mit Joh. 12,3 textlich-strukturell und inhaltlich zusammenhängen.
Dass Lazarus‘ Schwester die Füße des Herrn salbte, ist das komplementäre Gegenbild der Fußwaschung der Jünger Jesu.
Maria wischte seine Füße mit ihren Haaren ab, wohingegen Jesus eine Stoffbahn nahm, um mit ihr die Füße seiner Jünger abzutrocknen, die er ihnen gewaschen hatte.
Da diese Stoffbahn, mit der sich der Herr umgürtet hatte, Marias Haaren entspricht, ist anzunehmen, dass sie Jesus, ihrer großen Länge wegen, an seinem Körper mehrfach hinaufsteckte und sich mit ihr wie mit einem Gewand umwarf (umwickelte).
Zum Abtrocknen der Füße seiner Apostel entfaltete sie Jesus nach und nach. Er rollte den Stoff von sich ab. Bei diesem Dienst an seinen Jüngern zog sich Jesus also nach und nach aus. Er entledigte sich seiner Leibesherrlichkeit, bis er fast völlig entkleidet war, was in Phil. 2,7 im Begriff „entleeren“ (EÜ: „entäußern“) angedeutet wird. Um unseretwillen wurde Jesus arm, damit wir reich werden :2.Kor. 8,9:.
Marias lange Haare, die laut 1.Kor. 11,15 bei Frauen ein herrlicher Umwurf (Schleier oder Umhang) sind, waren dementsprechend völlig für den Dienst an Jesus bestimmt.
Aus den Joh. 12,3 betreffenden Makrostrukturen geht hervor, dass Lazarus‘ Schwester Maria einer anderen Maria entspricht, nämlich Maria Magdalena, die sich schluchzend in die Gruft des Herrn hineinbückte und darin ebenfalls ihre Liebe zu ihm erwies.
Eine Kontrastparallele besteht darin, dass Maria, Lazarus‘ Schwester, Jesus vor dessen Tod und der Grablegung berührte, wohingegen ihn die andere Maria (Maria Magdalena) nicht berühren durfte, nachdem er auferstanden war.
Dass die Salbung der Füße Jesu (und später auch die seines Hauptes) in Hinblick auf den Tag seiner Grablegung erfolgten :Joh. 12,7:, bestätigt den inhaltlichen Zusammenhang der beiden Marias.
Der Bezug zur Gruft Jesu zeigt sich auch darin, dass einer der beiden Engel an dem Ort Platz nahm, an dem die Füße des toten Leibes Jesu gelegen waren, der mit langen Scherstreifen umbunden worden war.
Der andere Engel hatte dort Platz genommen, wo das Haupt des Herrn gelegen war.
Der vorliegende Kontext lässt vermuten, dass dies mit der Salbung Jesu in Simons Haus zu tun hat, denn dort goss eine Frau Öl auf seinen Kopf, während er zum Mahl lag :Mt. 26,7:.
Diese beiden Salbungen für die Grablegung Jesu stehen sich ebenso zeitlich gegenüber, wie die beiden Engel in seiner Gruft einander räumlich spiegeln.
Im Kapitel "Das Herz des Johannesevangeliums" wird auf den Vorwurf des Antisemitismus und Antijudaismus eingegangen.