13.02.2023 | In „Das Johannesevangelium – Eine textlich-strukturelle Auslegung“ | von Freddy Baum
{6} Die Hochzeit zu Kana (Joh. 2,1-12)
Als aber der Speisemeister das Wasser, das zu Wein geworden war, gekostet hatte (und er wußte nicht, woher es war; die Diener aber, die das Wasser geschöpft hatten, wußten es), ruft der Speisemeister den Bräutigam (SLT 1951)
Die Erklärung beruht auf Versen des Johannesevangeliums, die mit Joh. 2,9 textlich-strukturell und inhaltlich zusammenhängen.
Wie der vorliegende strukturelle Kontext zeigt, gibt es mehrere analoge Personen bzw. Personengruppen, die den wesenhaften idealen Wein (Jesus) zuerst nicht kannten, schließlich aber von seiner göttlichen Identität Kenntnis nahmen.
Sie stehen zu solchen in einem Gegensatz, die den Gesalbten nicht kennen, weil sie dessen himmlischen Ursprung nicht sehen.
Die Analogie der beiden ersten Jünger Jesu, Nathanaels, der das Wasser schöpfenden Diener bei der Hochzeit zu Kana und Maria Magdalenas besteht darin, dass sie alle zu solchen wurden, die den bevollmächtigten Sohn Gottes als den Christus wahrnahmen.
Die beiden ersten „Schafe“ Jesu sahen ihren idealen Hirten, also den „idealen Wein“, nachdem sie vom minderen Wein, d. h. vom Täufer, gekostete hatten.
Im Unterschied zum Obersten des dreitägigen Hochzeitsgelages, der das „Woher“ des idealen Weins nicht kannte, begriffen sie das „Wo“ des Aufenthalts Jesu. Ihnen wurde der Ursprungsort Jesu eröffnet.
Nathanael wurde dazu angehalten, das aus Nazareth kommende Gute zu sehen, und der Jünger begriff schließlich die göttliche Quelle dieses „idealen Weins“.
Zuvor wurde Nathanael jedoch in seinem eigenen „Ursprungsort“, unter dem Feigenbaum erblickt und erwählt.
Die den idealen Wein für den Obersten des Trinkmahls schöpfenden Diener kannten seinen wunderbaren Ursprung, und Magdalena rief „Rabbuni!“ aus, als sie den auferstandenen Sohn Gottes sah, d. h. die Identität dessen erkannte, der vor ihr stand.
Wie Joh. 2,9c*Joh. 20,16b zeigt, ist der Christus der richtige Bräutigam, der wirkliche Lehrer. Fälschlicherweise wird dem Anti-Bräutigam „Kanas“ (Antichrist) der ideale Wein Jesu zugerechnet.
Maria Magdalena ist das Gegenbild des Obersten des Trinkgelages. Sie kennt den wahren, himmlischen Ursprung des idealen Weins.
Die beiden ersten Jünger, Nathanael, die Diener in Kana und Maria durchliefen anfangs eine Phase der Unkenntnis Jesu.
Gleicherweise kannte auch der Geheilte Bethesdas die Identität Jesu zuerst nicht.
Das Gegenbild derer, die das Himmlische erblicken und bezeugen sind die ungläubigen Juden und Pharisäer, die, ebenso wie der Oberste des dreitägigen Hochzeitsgelages oder der Pharisäer Nikodemus, das aus dem Himmel kommende Gute nicht begriffen, sondern an der irdischen Kulisse hängen blieben.
Der Speisemeister des Hochzeitsmahls vermutete fälschlicherweise den Bräutigam des Festes als die Quelle des idealen Weins.
(Letzterer ist aber der „Anti-Bräutigam“ des irdischen Jerusalems im Vergleich zum Bräutigam der das himmlische Jerusalem darstellenden Maria Magdalena.)
Einen himmlisch-göttlichen Ursprung zog der Oberste deshalb nicht in Erwägung, weil ein solcher jenseits seines irdischen Denkhorizonts lag. Das wesenhafte „Woher“ des idealen Weins blieb ihm verborgen.
Ebenso begriff Nikodemus nicht, wie man von oben her neu geboren wird. Sein Denken bewegte sich innerhalb irdischer Bahnen, sodass er das vor ihm stehende und ihn belehrende göttliche Himmelreich (Jesus) nicht sah.
Der große „Speisemeister“ Israels kannte das „Woher“ und „Wohin“ des Geistes Gottes nicht.
So erging es auch vielen aus der jüdischen Menge, die sich an der irdischen Herkunft Jesu störten und ihn wegen dieses vermeintlichen „Woher“ ablehnten.
Die Juden kannten nur den minderen Wein und die unnützen toten rituellen Wasser „Kanas“ und sahen weder den inmitten von ihnen stehenden Christus noch den ihn sendenden Gott-Vater. Der ideale Wein und seine Herkunft wurden ihnen verheimlicht.
Wie der Chiasmus in Joh. 2,1-12 zeigt, spiegelt sich das Fehlen von Hochzeitswein :Joh. 2,3: in den zu idealen Wein verwandelten Wassern wider :Joh. 2,9+10:. Mangel bzw. Überfluss an Wein stehen sich hier inhaltlich im Kontrast gegenüber.
Das „Noch nicht traf meine d Stunde ein“ in Joh. 2,4 markiert die Zeit bis zum Augenblick des Wunders der Verwandlung der Wasser in den idealen Wein.
Dieser Zeitraum entspricht in Joh. 2,10 dem „bis jetzt“ der vermeintlichen „Hütung“ (Bewahrung) des Weines bis zum Moment seiner Freigabe an die Hochzeitsgäste.
In beiden Fällen geht es um dieselbe Zeit, allerdings besteht diesbezüglich eine unterschiedliche Interpretation:
Der Bräutigam wurde als die Quelle des „verspäteten“ Weins angesehen.
Tatsächlich ist aber Jesus der Hervorbringer des idealen Weins, da seine Stunde gekommen war, d. h. der Zeitpunkt der „Weinschöpfung“ ideal war.
In Joh. 2,9 wird nicht weniger beschrieben, als die tragische Verwechslung des Christus mit dem Antichristus.
Joh. 2,9-12 [D47-50] <Joh. 3,34*> Joh. 4,46-48 [D48-50]
Im Kapitel "Das Herz des Johannesevangeliums" wird auf den Vorwurf des Antisemitismus und Antijudaismus eingegangen.