05.08.2024 | In „Das Johannesevangelium – Eine textlich-strukturelle Auslegung“ | von Freddy Baum
{43} Die Auferstehung Jesu (Joh. 20,1-10)
Darauf ging auch der andere Jünger hinein, der zuerst zur Gruft gekommen war, und sah und glaubte. (SLT 1951)
Die Erklärung beruht auf Versen des Johannesevangeliums, die mit Joh. 20,8 textlich-strukturell und inhaltlich zusammenhängen.
Bei den Joh. 20,8 betreffenden Makrostrukturen geht es in erster Linie um den Glauben, der aus der Wahrnehmung („Sehen“) der äußeren Dinge kommt, im Unterschied zum Glauben, der aus dem geschriebenen bzw. gesprochenen Wortes Gottes resultiert. Letzterer ist ein Vertrauen höherer Stufe.
Hierbei steht der Apostel Johannes zu den ungläubigen Juden in einem Gegensatz, denn Jesus vertraute sich denen, die seine irdischen Zeichen sahen nicht an, wohingegen die Jünger des Herrn das große Zeichen seiner Auferstehung lediglich zum Anlass nahmen, im Nachhinein der Schrift und dem Wort Jesu zu vertrauen.
Ihre Herzensbindung zu Gott basierte nicht auf dem Sichtbaren.
Ihr Inneres wurde durch die ihnen geschenkte unsichtbare Information aus dem Himmel bewegt.
Die den Herrn sehenden Gesetzischen schrien, er möge gekreuzigt, d. h. in den Tod gegeben werden.
Der den Menschensohn in der Gruft nicht sehende Johannes (er stellt die Gnade Gottes dar) wusste hingegen, dass Jesus aus dem Tod auferstanden war.
Johannes glaubte bereits, bevor sich Jesus den anderen Jüngern gegenüber als ihr lebender Gott und Herr offenbarte.
Das sich zu erfüllende Unsichtbare des Wortes war für Johannes bereits Realität, bevor es „Fleisch“ wurde und ohne, dass er es in schriftlicher Form kannte.
Der Apostel stand außerhalb des Spannungsfeldes der Befähigung bzw. Unfähigkeit des Glaubens aus dem Hören und Sehen des die Wahrheit betreffenden geschriebenen Wortes.
Ironischerweise glaubte Johannes ausgerechnet deshalb, weil er sah, dass der tote Leib Jesu nicht gesehen wurde.
Nicht ein sichtbares Zeichen bzw. ein geschriebenes Wort Gottes, sondern das Fehlen eines Zeichens war für ihn ein Anlass, das zu sehen, was den anderen Jüngern zu sehen verwehrt war und daran vertrauensvoll und treu festzuhalten, ohne eine diesbezügliche geschriebene Prophetie zu kennen. Johannes‘ Schauen (die Wahrnehmung der Gnade Gottes) unterscheidet sich grundsätzlich vom Schauen der „Vielen“.
Ironischerweise soll aber ausgerechnet das geschriebene Zeugnis des Apostels dazu führen, den Leser zum Glauben zu bringen, dass Jesus der Christus ist.
Wir dürfen „sehen“ und glauben, dass sein Wort über den Herrn wahr ist.
Und weil wir Jesus momentan äußerlich noch nicht erblicken, nehmen wir die Rolle des Apostels ein, sodass wir in die „Gruft“ kommen, „sehen“ und glauben dürfen:
Jesus ist nicht im Grab!
Halleluja!
Dank ist dem Gott und seinem Zeugen Johannes! Wir haben das ewige Leben.
Ebenso, wie Petrus zeigt die „Gnade Jahwes“ (dies ist die Bedeutung des Namens „Johannes“) auch uns den Auferstandenen, und geradeso wie die anderen Jünger, erkennen auch wir und glauben, wer derjenige ist, der mit uns isst.
Wir kennen die Identität unseres Gottes. Wir müssen ihm diesbezüglich keine Fragen stellen.
In seinem „Sehen im Nicht-Sehen“ ist Johannes auch ein Gegenteil des sogenannten ungläubigen Thomas, der unbedingt im Sichtbaren erkennen musste, bevor er im Herzen glauben konnte.
Thomas weigerte sich, zu glauben, bevor dies geschah, sodass er gewissermaßen ein Gegen-Johannes ist.
Die Gnade Gottes lässt uns Christus völlig anders erkennen. Ihr Sehen unterscheidet sich grundsätzlich von der Wahrnehmung des Zwillingshaften (Thomas).
Laut dem Chiasmus in Joh. 20,1-10, wird auf beiden Seiten von Joh. 20,4+5*Joh. 20,8 erwähnt, dass Johannes voran lief und als erster, noch vor Petrus, zur Gruft kam.
(In Joh. 20,8 heißt es rückblickend, dass Johannes, der zuerst zur Gruft gekommen war, erst nach Petrus dort hineinging.)
Im Kapitel "Das Herz des Johannesevangeliums" wird auf den Vorwurf des Antisemitismus und Antijudaismus eingegangen.